30.10.13

Offizieller Start des 20er-Jahre-Modus

Jetzt ist es amtlich. Die Finanzmärkte zelebrieren den 20er-Jahre-Modus.
Ab dem Jahr 1924 kannten die internationalen Aktienbörsen bekanntlich kein Halten mehr. Die Kurse verfielfachten sich und der Aktienkauf »auf Pump« war eher die Regel denn die Ausnahme.

Hier exemplarisch der Preisverlauf des Dow Jones


Hier zum Vergleich der aktuelle Kursverlauf der US-Standardwerte


Beim Vergleich beider Charts kann man den Aktien selbst auf den aktuellen Preisniveau noch einige Verdopplungsrunden zugestehen. Wie vor 90 Jahren ist allen klar, dass die Aktienpreise durch nichts anderes, als ein vermutetes zukünftiges Kaufinteresse anderer Marktteilnehmer gerechtfertigt sind.

Bei den US-Small-Caps muss man heute vielfach 70 $ für einen einzigen Dollar Gewinn pro Aktie zahlen. Es gibt insbesondere in den USA immer mehr Unternehmen, die gar nicht beabsichtigen, Gewinne auszuweisen (dann müssten sie ja Steuern zahlen), die aber trotzdem auf exorbitante Marktkapitalisierungen aufweisen, Amazon ist ein Paradebeispiel hierfür.

Aktien in Asien sind merkwürdigerweise preiswerter. In Singapore zahlt man durchschnittlich 11 Singapore-Dollar pro Dollar Gewinn. Hier herrschen jedoch scheinbar andere Gesetze. Die Bewertung lokaler Aktienmärkte von Ländern, die stark mit China verbunden sind, leidet unter der inversen Zinsstrukurkurve im Reich der Mitte. Die dortige Notenbank schwingt sich nämlich zum Gegenspieler der FED auf. Während die eine jeden Monat 85 Mrd. $ auf den Markt wirft, zieht die andere über die Geldmärkte Liquidität aus dem Markt heraus. In den USA und den Industrienationen steigen deshalb die Preise für Vermögenswerte, während sie in China und der näheren Umgebung bestenfalls stagnieren.

21.10.13

Das Ende des USD als Weltleitwährung

Wissenschaftler ruhen nicht, bis sie Antworten gefunden haben. Ob sich im Loch-Ness tatsächlich ein Seeungeheurer namens »Nessy« verborgen hält, ist bis heute unklar. Yetis existieren aber tatsächlich in unerschlossenen Teilen des Himalaya. Es gibt neben Fußabdrücken jetzt auch erste gentechnische Analysen organischen Materials.
Was gestern noch Mysterium einer Fabel war, kann heute also bereits Wirklichkeit sein. Das gilt auch für die Sicherheit US-amerikanischer Staatsanleihen. 1995 und 1996 haben US-Republikaner dem damals verhassten Clinton zweimal »den Stecker gezogen« und die Verwaltung lahmgelegt. Von einem Staatsbankrott war damals nie die Rede.
Das ist 2013 anders. Diesmal wurden in den Geschäfts- und Notenbanken rund um den Globus Notfallprogramme ausgearbeitet. Man wollte zeigen, dass man aus den bitteren Erfahrungen 2007/8 gelernt hatte. Dabei wurde überall schnell klar, wie sehr man (noch) auf die absolute Sicherheit von US-Staatsanleihen als ultimalive Referenz angewiesen ist. Die Standardmaßnahme der Notenbanken bei einem US-Default lautet nämlich: Verkaufe kurzlaufende US-Staatsanleihen und kaufe solche mit längerer Laufzeit.
Dahinter stecken zwei Überlegungen: Erstens werden nicht fällige US-Staatsanleihen im Falle eines Bankrotts der USA nicht automatisch in Sippenhaft genommen. Zweitens sind die Risiken eines Ausfalls beliebiger anderer Assets nach einem Default der USA größer, als ausgerechnet langfristige Schuldtitel des Deliquenten.
So hat sich in den letzten Wochen eine weitere absolute Größe, ein Ankerpunkt, in Wohlgefallen aufgelöst. Die Auswirkungen sind mit denen des Zerfalls der Goldbindung und des Regimes fixer Wechselkurse 1971 vergleichbar: Die USA haben aus freien Stücken ihren eigentlichen Faustpfand geopfert, den US-Dollar als Welthandelswährunng.
Zeitgleich mit der Zuspitzung des US-Haushaltsstreits ist zufällig der Yuan in London angekommen. Das britische Pfund und der chinesische Yuan sind per Swap direkt handelbar – ohne den Umweg über den USD. Man darf gespannt sein, in welcher der folgenden Krisen China die USA als Schutzhafen für Liquidität ablösen wird.

20.10.13

Fondsmanager auf die Kloschüssel

In der englischen Financial Times vollbrachte »John Author« eine sprachliche Meisterleistung, als er einen Artikel mit »Pull closet indexing out of the closet« betitelte. Das ist sogar auf deutsch mehrdeutig, wie der gewählte Titel dieses Eintrags zeigt.

»Remember ... buy back in September« so endet eine Börsenweisheit, die mit »Sell in May« beginnt.  Diesem Paradigma folgen insbesondere Privatanleger. Entsprechend groß ist im Herbst das Interesse an Hinweisen, wo man in Zeiten wie diesen seinen Schotter bis zum nächsten Mai abladen kann.

Die Medien bedienen diese Nachfrage auf ihre Weise. In Zeiten immer knapperer Budgets für eigene Recherchen überfluten PR-Pamphleten der Investmentgesellschaften den Markt. Fundierte Informationen haben seltenheitswert. Deshalb hat mich der Beitrag in der FT gefreut, im dem »John Author« versucht, Klartext zu schreiben.

Ein »closet« bezeichnet sowohl die Toilette als auch die Besenkammer, als Verb kann man es mit  »verdeckt« übersetzen. Eine fachgerechte Übersetzung lautet folglich: »Entferne verdeckte Index-Nachbilder aus dem Depot«

Der Termicus Technicus »closet indexing« beschreibt die Nähe aktiv gemanagter Fonds zur Benchmark bzw. zu einem maßgeblichen Index. Diese Produkteigenschaft wird mit der Kennzahl »Active Shares« abgebildet. Wenn ein Fonds beispielsweise den S&P 500 als Messlatte benutzt und bis auf Apple alle 500 Aktien im Depot hält, dann werden dem Fonds fünf »Active Shares« zugeordnet. Apple hat ein Gewicht von fünf Prozent im Index. Der Fonds weicht mit fünf Prozent seines Kapitals von der Indexzusammensetzung ab.

Das Konzept der »Active Shares« wurde von Ökonomen der Yale-University entwickelt. Geht es nach den Initiatoren, dann sind alle aktiven Fonds, die weniger als 60 Prozent des Fondsvermögens außerhalb der Benchmark platzieren, potentielle »closet indexer« (Mir gefällt die Vorstellung eines auf der Toilette sitzenden, zeitungslesenden Fondsmanagers, der dort seine Zeit tot schlägt, anstatt sich um die Kundengelder zu kümmern ...). Ein ETF ist per Definition ein Anlage-Instrument mit Null »Active Shares«. Ein ETF bildet immer einen Index ab und ist nicht von Fehlentscheidungen des Fondsmanagements betroffen.

In Europa hat sich zwar eine bunte ETF-Landschaft gebildet. Diese Entwicklung hat bislang kaum zu Veränderungen bei aktiv gemanagten Fonds geführt. Es dominieren weiterhin sehr indexnahe Fonds. Mehr als 70 Prozent der Publikums-Fonds sind potenzielle »Closet Indexer«. Polen hat mit 81 Prozent die »Pole-Position«. Selbst in Kanada sind 40 Prozent der Investmentfonds sehr Indexnah.


Ganz anders innerhalb der USA. Dort ist die ETF-Industrie dominant. Wer einen aktiven Fonds betreibt, muss sich radikal von jeglicher Benchmark lösen –  und er muss besser sein, als die passiven ETF's. In einem funktionierenden Markt muss dies zu einer Aussortierung nicht zielführender Anlagekonzepte führen.

Tatsächlich hat das Researchunternehmen SCM Private eine Outperformance aktiver Fonds in den USA ermittelt. Die verbliebenen Fonds entwickeln sich erstens besser, als die gewählte Benchmark. Zweitens steigt die Outperformance mit dem Anteil der »Active Shares«.

Europa tickt anders. In England verzeichnen nur 24 Prozent der aktiv gemanagten Fonds mehr als 70 »Active Shares«. Bei den meisten dieser Fonds fressen die Fees die erzielte Outpermance komplett auf. Auf der anderen Seite konnten nur 12 Prozent der Fonds mit weniger als 50 »Active Shares« ihre Benchmark nach Kosten schlagen.

Das ewige Messen der Fondsmanager am Verhalten des Gesamtmarkts hat die gesamte Branche verändert. Anders, als die Börsenlegenden des 20. Jahrhunderts, die sich intensiv mit möglichen Basiswerten auseinandersetzten, dann zum Kauf schritten und die Werte mental ihr Eigen nannten, prägt heute das Denken in »Über-« und »Untergewichten« die Debatte. Jeder versucht, durch indexnahes investieren möglichst wenig Angriffsfläche für kritische Fragen zu liefern. Es ist kein Nimbus, Verluste einzufahren, wenn es allen so geht. Ein toller Hecht ist jemand, der zum rechten Zeitpunkt eine große spekulative Wette erfolgreich platziert und sich damit sehr kurzfristig von der Hammelherde absetzt. Danach heisst es sofort: Zurück ins Glied (und ab auf die Kloschüssel).


Vor der Finanzkrise haben diverse Hedge-Fonds versucht, sich durch radikal andere Investmentmethoden von der oben aufgezeigten Entwicklung abzukoppeln. Das ging total in die Hose. Erstens weil die Marktturbolenzen bei vielen Fonds für herbe Verluste sorgten und es in der Folge zu großflächigen Mittelabflüssen kam. Zweitens weil findige Marketingexperten sofort Benchmarkindizes für Hedgefonds aufstellten. Damit waren auch die Hedgefonds-Manager wieder auf der Kloschüssel gelandet.

Trotz der negativen Auswirkungen auf die Erträge ist die Praxis der Fondsgesellschaften absolut nachvollziehbar und eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit. Aktiv gemanagte Fonds, die sehr von der Norm abweichen, werden von potenziellen Anlegern als besonders riskant wahrgenommen. In Zeiten, wo jede Tagesbewegung des nationalen Aktienmarktindex in den Industriestaaten ausführlich einem Millionenpublikum vor oder in den Abendnachrichten präsentiert wird, wird jede Abweichung der eigenen Investments von der Norm als Zufall interpretiert. Erträge aus derartigen Investments werden mental Lotteriegewinnen gleichgesetzt. Sobald Verluste auftreten, zieht man sofort die Reissleine, was auf der Ebene des Fondsmanagements fast unweigerlich weitere Verluste des Fonds katalysiert.

Wenn es hingegen gut läuft, überschwemmt der Markt den Fonds solange mit frischem Geld, bis sich die Performance wieder der Benchmark annähert.
Es scheint eine typisch menschliche Eigenschaft zu sein, mit dem Finger auf Aussenseiter zu zeigen und sich genüßlich an deren Versagen zu ergötzen. Internetforen sind voll mit hämischen Beiträgen über Fonds, deren Performance negativ von der Norm abweicht. Im Ergebnis machen dann alle das Gleiche. Alle freuen sich gemeinsam über Erträge, alle trauern gemeinsam, wenn es mal nicht so gut läuft. Genauso wie im Fußballstadion.

Kleines Fazit: Nur wer den Mut hat, die ausgetretenen Wege zu verlassen, hat eine Chance auf nachhaltig positiv abweichende Erträge.